Profil des Lehrstuhls
Der Lehrstuhl wurde 1970 als 3. politikwissenschaftlicher Lehrstuhl an der Universität Konstanz eingerichtet. Frühere Inhaber des Lehrstuhls waren Frieder Naschold und Gerhard Lehmbruch.
Die Denomination des Lehrstuhls für materielle Staatstheorie leitet sich ab aus der rechtswissenschaftlichen Unterscheidung zwischen formell und materiell, wobei formell sich nur auf bestimmte Verfahrensvorschriften, materiell auf das in diesen Verfahren inhaltlich Gemeinte oder Bezweckte bezieht. So wird beispielsweise zwischen formellen und materiellen Gesetzen einerseits und zwischen formellem und materiellem Rechtsstaat andererseits unterschieden. Ein formeller Rechtsstaat, der Prinzipien wie Freiheit und Gleichheit in seiner Verfassung verankert hat, ist nicht notwendigerweise auch ein materieller Rechtsstaat. Letzterer muss durch spezifisches inhaltliches Handeln dafür sorgen, dass diese Rechte auch tatsächlich garantiert werden.
In einer ähnlichen Logik ist eine formelle Privatisierung staatlicher Aufgaben, in dem beispielsweise der Aufgabenträger in eine private Rechtsform überführt wird, von einer materiellen Privatisierung zu unterscheiden, in der die tatsächliche Kontrolle über das Handeln dieses Trägers nun von privaten Akteuren übernommen wird (z.B. durch den Verkauf eines Staatsunternehmens an der Börse).
Lehre und Forschung am Lehrstuhl für materielle Staatstheorie ist daher der theoretischen und empirischen Analyse von Staatstätigkeit gewidmet, die im angelsächsischen Sprachraum auch als "öffentliche Politik" (Public Policy) bezeichnet wird. Das theoretische Interesse ist hier sowohl auf die Voraussetzungen und Determinanten, als auch auf die Folgen und Wirkungen staatlichen Handelns gerichtet. Es umfasst im weiteren Sinne auch Theorien politischer Steuerung und politische Systemtheorien, die den Staat als zentrale Komponente gesellschaftlicher Selbstregulierung betrachten.
Da in komplexen Gesellschaften weitere Elemente und Bereiche an diesem arbeitsteiligen gesellschaftlichen Regulierungs- und Steuerungszusammenhang beteiligt sind, werden auch die Beziehungen zu privaten Organisationsformen wie Verbänden und Großunternehmen als theoretisch besonders wichtig betrachtet. Wachsende gesellschaftliche Komplexität und die darauf bezogene Ausdifferenzierung öffentlicher Politiken fordert auch von der Analyse zunehmende inhaltliche Spezialisierung.
Die Funktionsweise von Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, Infrastrukturpolitik, Technologiepolitik etc. lässt sich ohne spezifisches Wissen über deren strukturellen und prozessualen Eigenheiten nicht hinreichend verstehen. Aus diesem Grund konzentriert sich die empirische Forschung des Lehrstuhls weitgehend auf Infrastruktur- und Technologiepolitik. Hierbei werden sowohl qualitative wie auch quantitativen Methoden der empirischen Sozialforschung eingesetzt, wobei allerdings strukturanalytische Methoden besonders betont werden.