Nutzerzentrierung in digitalen Verwaltungsprozessen am Beispiel der Personenstands­urkunde in Friedrichshafen

Philipp Erdmann, Lars Hummel und Franziska Lauth

Kurzzusammenfassung

Die Digitalisierung, gesetzlich durch das Onlinezugangsgesetz in naher Zukunft verpflichtend vorgeschrieben, schafft neue Anforderungen an die öffentliche Verwaltung. Deshalb ist es wichtig, dass diese sich an die Nutzererwartungen anpasst und mehr Dienstleistungen online anbietet. Wie diese Anforderungen konkret aussehen, wurde am Beispiel der Digitalisierung der Personenstandsurkunde in Friedrichshafen untersucht. Anhand eines Experteninterviews wurde mit den Prozessverantwortlichen im ersten Schritt erfasst, wie der Ist-Prozess der Beantragung einer Personenstandsurkunde verläuft. In einem zweiten Schritt wurden die Nutzer der Stadt Friedrichshafen interviewt, die diesen Prozess durchliefen. Dabei wurden sie nach ihren Wünschen, Verbesserungsvorschlägen und Anregungen für den digitalen Prozess der Personenstandsurkunde gefragt. Auf Grundlage der ausgewerteten Interviewdaten wurde letztlich ein Prototyp eines zukünftigen Online-Prozesses entwickelt. Kernpunkt des Prototyps war die Schaffung einer Online-Bezahlmöglichkeit innerhalb einer einfachen und klar strukturierten Nutzeroberfläche. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass ein analoger Prozess nicht durch einen Digitalen ersetzt, sondern durch ihn ergänzt werden sollte. Daran anknüpfend wird von den Nutzern weiterhin eine persönliche Betreuung gewünscht.

Einbettung in den Kontext

Die Nutzung verschiedener digitaler Verwaltungsprozesse soll in Baden-Württemberg in Zukunft vor allem auf der Plattform service@bw ermöglicht werden. Vor diesem Hintergrund haben wir die Stadt Friedrichshafen bei dem Digitalisierungsprozess der Personenstandsurkunde begleitet. Dabei wurden verschiedene in der Theorie erarbeitete Konzepte (z. B. den ‚public service-dominant approach‘ von Osborne, Radnor und Nasi, 2013) in die Betrachtung des Prozesses miteinbezogen. Das Ziel ist dabei die Gestaltung von Dienstleistungen, die sich an den Bedürfnissen der Nutzer orientieren, um den geänderten Anforderungen gerecht zu werden.

Methodik

In einem ersten Schritt wurde der Verwaltungsprozess der Beantragung einer Personenstandsurkunde aus einem 90-minütigen Experteninterview mit den Prozessverantwortlichen abgeleitet und in Form eines Flow-Chart-Diagramms abgebildet (Grafik 3). In einem zweiten Schritt wurde mit Hilfe von 18 Nutzerinterviews eruiert, ob eine digitale Ausgestaltung des Verwaltungsprozesses gewünscht ist und welche Optimierungsmöglichkeiten die Nutzer für den Prozess sehen. Darüber hinaus wurden auch Wünsche und Erwartungen für den zukünftigen Prozess erfragt. In einem zweiten Flow-Chart-Diagramm wurde der Soll-Prozess modelliert (Grafik 4). Mittels einer User-Journey-Map konnten die einzelnen Schritte, die die Nutzer bei der Beantragung einer Personenstandsurkunde unternehmen, detailliert dargestellt und die jeweiligen Optimierungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Unter Anwendung der Sketching-Methode wurde letztlich ein Prototyp eines zukünftigen Online-Prozesses entwickelt, der in Form von Skizzen den neuen Prozess modelliert.

Grafik 1

Lösungsansatz/Ergebnisse der Arbeit

Im Folgenden werden die zentralen Erkenntnisse dargelegt, die sich aus den Nutzerinterviews ergeben:

Positive Einstellung gegenüber dem digitalen Prozess

Es stellte sich zunächst die Frage, ob ein digitales Angebot von Verwaltungsprozessen überhaupt erwünscht ist. In den durchgeführten Nutzerinterviews hat sich ergeben, dass sich zwar die deutliche Mehrheit der Nutzer eine Beantragung der Personenstandsurkunde online vorstellen kann (Grafik 1), aber weniger Personen die Online-Beantragung gegenüber anderen Formen bevorzugen (Grafik 2).


Grafik 2

Problematische Öffnungs- und Wartezeiten bei der Inanspruchnahme von Verwaltungsdienstleistungen sind das Hauptargument für die Einführung eines digitalen Prozesses. Die Nutzer legen Wert auf Flexibilität und ein Verfahren mit geringem persönlichem und zeitlichem Aufwand. Durch einen Online-Prozess würden Parkplatzsuche und lange Anreise- und Wartezeiten vermieden.


Wünsche für die Gestaltung des Online-Prozesses

Bei einer Online-Möglichkeit des Verwaltungsprozesses legen die Nutzer großen Wert auf Datenschutz sowie eine einfache und verständliche Struktur. Gewünscht ist darüber hinaus ein zentrales Portal, über das möglichst viele administrative Anliegen abgewickelt werden können. Klar strukturierte Übersichtsseiten mit relevanten Informationen zu benötigten Dokumenten und entsprechenden Formularen. Ebenfalls vorgeschlagen werden Benachrichtigungen über den Bearbeitungsstatus von Prozessen. Viele Nutzer äußerten zudem den Wunsch nach einer digitalen Bezahlmöglichkeit und einer digitalen Nachreichfunktion von Dokumenten (siehe Inkorporation der verschiedenen Wünsche im Vergleich von der IST zur SOLL Flowchart in Graphiken 3 & 4 -siehe Annex).

Praktische Implikationen

Aus der Arbeit ergeben sich die folgenden praktischen Implikationen, die auch für andere öffentliche Verwaltungen umsetzbar sind. Das vorgestellte nutzerzentrierte Design erweist sich als geeignete Herangehensweise einer schnellen Ergebnisfindung, die sowohl den Anforderungen der Nutzer als auch der Verwaltung gerecht wird. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung sind die genannten Methoden (User-Journey, Sketching, Flow-Chart-Diagramm) sehr hilfreich, um einen roten Faden für Projektteams zu generieren. Es wird anschaulich dargestellt, wie Ist-Zustände aussehen, welche Kontaktpunkte in verschiedenen Phasen des Prozesses bestehen und welche Schwierigkeiten auf beiden Seiten auftreten. Die Einbindung der Nutzervorstellungen ist entscheidend für die Akzeptanz von Prozessveränderungen in der breiten Öffentlichkeit. Nichts wäre frustrierender und hemmender für die Entwicklung digitaler Services, wenn die Wünsche der Nutzer unberücksichtigt blieben und demzufolge digitale Angebote nicht aktiv genutzt würden. Auch wenn eine Anwendung in der Praxis zunächst Ressourcen kostet und Kompetenzen gebildet werden müssen, lässt das positive Feedback zu der Arbeit aus Bevölkerung und Verwaltung auf ein mittelfristiges Pay-Off schließen. Dieses schlägt sich nicht nur monetär, sondern vor allem in der Zufriedenheit mit dem Service nieder. Die Digitalisierung sollte nicht um ihrer selbst willen umgesetzt werden, vielmehr ist die Frage nach der Art und Weise zentral.

Trotz aller Fokussierung auf die Darstellung von Online-Prozessen gilt es, die persönliche Betreuung nicht zu vernachlässigen. Digitalisierung wurde in den Gesprächen meist als Ergänzung oder Vereinfachung des bisherigen Prozesses gesehen, jedoch nicht als Ersatz. Es ist wichtig, weiterhin Präsenzzeiten anzubieten, um persönliche Betreuung zu gewährleisten.

Zentrale Punkte

Eine Digitalisierung von Verwaltungsprozessen wird von Nutzern grundsätzlich gewünscht. Allerdings ist die genaue Ausgestaltung der Prozesse wichtig. Nicht außer Acht gelassen werden sollten hierbei die Themen Datensicherheit und persönlichen Betreuung.

Es konnte gezeigt werden, dass eine Einbindung von Nutzern in der Ausgestaltung von Verwaltungsprozessen wertvoll und unerlässlich ist, um eine Akzeptanz der Nutzer und ein Vertrauen in die öffentliche Verwaltung zu schaffen. Mit den angewandten Methoden konnte innerhalb kurzer Zeit ein Prozess designt werden (Grafik 5), der für alle Beteiligten einen Mehrwert bietet.

Grafik 5

Über Philipp Erdmann:

Philipp Erdmann befindet sich aktuell im Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz. Seinen Bachelor of Arts wird er voraussichtlich im März 2019 abschließen. Die Abschlussarbeit verfasst er zum Thema „Digitale Lotsen in der öffentlichen Verwaltung“. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und Politik im Sport.


Über Lars Hummel:

Aktuell studiert Lars Hummel an der Universität Konstanz den Bachelor of Arts in Politik- und Verwaltungswissenschaft. Sein Studium wird er voraussichtlich im März 2019 abschließen. Die Abschlussarbeit verfasst er zum Thema „Agilität in der öffentlichen Verwaltung“. Neben dem Thema Agilität interessiert er sich für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und Public Sector Consulting.

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Über Franziska Lauth:

Aktuell studiert Franziska Lauth an der Universität Konstanz den Bachelor of Arts in Politik- und Verwaltungswissenschaft. Sie wird ihr Studium voraussichtlich im Juni 2019 abschließen. Die Abschlussarbeit verfasst sie zum Thema „Intersektorale Zusammenarbeit in der kommunalen Flüchtlingsintegration“. Ihre Interessen liegen in den Bereichen Organisationsforschung, Migration und Technikfolgenabschätzung.