Digitale Lotsen der Stadt Konstanz
Philipp Erdmann
Kurzzusammenfassung
Die öffentliche Verwaltung setzte sich in den letzten Jahren das Ziel digitaler, transparenter und bürgerfreundlicher zu werden. Um digitales Denken und Handeln als Organisationskultur in die Verwaltung zu bringen, startete im Frühjahr 2019 das Projekt „Digitale Lotsen der Stadt Konstanz“. Die Forschungsarbeit untersucht die grundlegenden Unterschiede in der Erwartungshaltung der Verwaltungsmitarbeiter*innen in Bezug auf digitale Innovation. Das Ziel ist herauszufinden, inwiefern die Innovationserwartungen sich zwischen den Verwaltungsmitarbeiter*innen unterscheiden und welchen Stellenwert Digitalisierung für sie hat. Es stellt sich heraus, dass sich anhand der Analyse die vier Kategorien Erwartungen, Anforderungen, Hinderungen und Erfahrungen definieren lassen, die die Kernaussagen der befragten Lotsen umfassen.
Einbettung in den Kontext
Das Land Baden-Württemberg hat im November 2018 festgelegt, dass bis August 2020 rund 1.600 Digitallotsen in den öffentlichen Verwaltungen qualifiziert werden sollen (Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration, 2018). Die Stadt Konstanz ist dieser Idee zuvorgekommen und hat unabhängig von dem Plan des Landes das Projekt gestartet. Die Stadtverwaltung Konstanz wird die digitalen Lotsen in zweierlei Sicht einsetzen: zum einen sollen die 23 Digitallotsen als Mitgestalter in Digitalisierungsprojekten fungieren, im dem sie Impulse bei konkreten Projekten geben. Zum anderen ist geplant, dass die digitalen Lotsen als Multiplikatoren geschult werden und die erlernten Kenntnisse und Vorhaben der Stadt in die Ämter tragen. Das Ziel ist es, alle Mitarbeitende für das Thema Digitalisierung zu sensibilisieren und zu motivieren und digitales Denken und Handeln als Kultur in der Organisation mitzugestalten. Die Forschungsarbeit knüpft hier an und versucht neue Muster über Erwartungen der Mitarbeitenden vor Beginn eines Innovationsprojektes zu generieren und neue Denkweisen aufzustellen, die Orientierung für zukünftige Forschung bieten soll.
Methodik
In qualitativen Interviews wurden die Teilnehmende des Projekts „Digitale Lotsen der Stadt Konstanz“ befragt (Flick, 2017). Von den insgesamt 23 Teilnehmenden erklärten sich 16 Personen bereit, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen. Drei der Teilnehmenden waren bereits aus dem Projekt ausgetreten und hatten zu diesem Zeitpunkt noch keinen Nachfolger*in und weitere vier Personen sagten aus zeitlichen Gründen ab. Eine weitere Person kam hinzu, da ein Interview mit einem noch bestehenden Digitallotse und dessen Nachfolger*in stattfand. Unterschiedliche Perspektiven wurden dadurch gegeben, da alle Interviewparter*innen in unterschiedlichen Ämtern und Eigenbetriebe der Stadt Konstanz tätig waren und sehr verschiedene Positionen innehatten. Die Interviews wurden im Anschluss transkribiert und kodiert (Saldaña, 2013). Weiterführend wurde die Gruppe hinsichtlich der fünf Innovationsadoptoren nach Rogers (2003) untersucht.
Ergebnisse der Arbeit
Erwartungen
Die Erwartungen der Interviewten für das Projekt sind überwiegend sehr positiv, allerdings wurden auch kritische Bedenken geäußert. Aus allen Interviews wurde der Wunsch deutlich, dass das Projekt einen Mehrwert bringen muss und man motiviert ist, die Stadt positiv zu verändern. Außerdem wird erwartet, dass die Beteiligten aktiv an Veränderungen teilhaben können und diese mitgestalten können. Anderen Digitalen Lotsen fiel es schwer spezifische Erwartungen zu diesem Zeitpunkt zu nennen, allerdings startete das Projekt erst ein paar Monate nach der Befragung.
Anforderungen
Als ein wichtiger Faktor für eine positive Umsetzung des Projekts wurden zeitliche Ressourcen hervorgehoben. Die meisten Lotsen wünschen sich, bei gleichzeitiger Konzentration auf das Projekt nicht ihre alltägliche Arbeit zu vernachlässigen. Die Digitalisierungsbemühungen auf der kommunalen Ebene werden als positiv angesehen, da alle Mitarbeitende mitgenommen werden müssen – allerdings bedarf dies einer funktionierenden Kommunikation. Zudem werden Anforderungen an ethische Werte der Verwaltung geäußert, da eine öffentliche Verwaltung sich von einem Wirtschaftsunternehmen stark unterscheidet.
Hinderungen
Bei den Interviewten wurde sehr häufig das Thema Angst vor Veränderung aufgegriffen. Innovationsprojekte sollten nicht top down kommandiert werden, da eine große Veränderung auch die Gefahr birgt, dass sich einzelne Mitarbeitende überfordert fühlen. Eine weitere Hürde wird in der Planung gesehen, da bis zur tatsächlichen Umsetzung häufig sehr viel Zeit vergeht. Weiterhin sprach ein Interviewter Bedenken bezüglich digitaler Manipulation an, da man schneller an Informationen kommt und Digitalisierung es schwieriger macht, richtige von falschen Informationen zu unterscheiden.
Erfahrungen
Viele Befragten schilderten ihre Erfahrungen mit ähnlichen Projekten, in denen es immer Personen gibt, die Innovationen schneller annehmen als andere. Außerdem wurde erkennbar, dass die Faktoren Angst und Zeit eine Rolle spielen. Durch den Erfolg eines Projektes würde eine Neuerung dennoch meist positiv gesehen. Weiter spricht eine Person darüber, dass sich die eigene persönliche Denkweise über digitale Veränderungen insofern geändert hat, dass sie offener für Neues ist als in der Vergangenheit. Eine andere Person hingegen behauptet das Gegenteilige, nämlich inzwischen kritischer geworden zu sein und äußert, wie viele andere Befragte auch, Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes.
Innovationstypen
Rogers (2003) definiert fünf verschiedene Typen von Adoptoren von Innovation. Als Innovatoren („innovators“) werden die ersten Übernehmer bezeichnet, die sich vor allem durch eine hohe Risikobereitschaft und Unsicherheitstoleranz auszeichnen. Die frühen Adoptoren („early adopters“) spielen in der Innovationsimplementierung eine größere Rolle, da sie die ersten sind, die der Innovation ein tatsächliches Bild geben und die weiteren sozialen Gruppen mitziehen können. Folgend hierzu kommt die frühe Mehrheit („early majority“) und zusammen mit den frühen Adoptoren wird die erste Hälfte der Adoptoren vollendet. Die späte Mehrheit („late majority“) betrachtet Innovationen eher zurückhaltend und nimmt Innovationen meist erst dann an, wenn der Druck zu stark wird, diese Veränderung zu verpassen. Als späteste und letzte Mitglieder in diesem Modell übernehmen die Nachzügler („laggards“) eine Innovation – diese sind sehr kritisch, sozial kaum eingebunden und orientieren sich stark an der Vergangenheit.
In Abbildung 1 wird versucht, die Konstanzer Digitallotsen dahingehend zu klassifizieren. Sechs der insgesamt 17 Personen werden den Typen Early Adopters und Early Majority (je 35,3%) zugeordnet und fünf Personen dem Typ Late Majority (29,4%).
Theoretische & praktische Implikationen
Aus der Forschungsarbeit lässt sich ableiten, dass die Planung des Projekts eine große Rolle spielt. Um Angst vor Veränderungen zu vermeiden, muss der Veränderungsprozess gut geplant sein und alle Mitarbeitenden müssen durch einen hohen Grad an Kommunikation miteinbezogen werden (Rafferty & Restubog, 2010). Auch ist vielen Digitallotsen wichtig, dass das Projekt der ganzen Stadt etwas nützt und nicht nur einen persönlichen Mehrwert mit sich bringt. Hierfür spielen Effizienz, Effektivität aber auch Zeit eine entscheidende Rolle. Der große Anteil der Gruppe von „Late Majority“ (29,4%) gibt an, dass sich die Vorgehensweise durchaus negativ auf das Vorantreiben der Digitalisierung in der Stadt Konstanz auswirken könnte. Die kritische Denkweise einiger Lotsen kann für das Vorhaben der Stadt Konstanz ein Hindernis darstellen. Die Projektverantwortlichen sollten früh genug die nächsten Schritte planen und dafür sorgen, dass die Projektteilnehmer auch tatsächlich freigestellt werden, um die Projektarbeit zu tätigen, ohne dass für sie ein zusätzlicher Aufwand entsteht.
Zentrale Punkte
Die Ergebnisse belegen, dass sich die Erwartungen bezüglich der Anforderungen und Hinderungen zwischen den Befragten unterscheiden. Generell sind die Erwartungen aller befragten Personen für das Projekt positiv. Dennoch können negative Komponenten auftreten, wenn die Anforderungen und Hürden nicht berücksichtig werden. Diese Anforderungen sind beispielsweise technische, finanzielle, aber auch zeitliche Ressourcen. Außerdem belegen die Interviewergebnisse, dass ausreichend zwischen den Projektverantwortlichen und den digitalen Lotsen, aber auch zwischen den Lotsen und den Mitarbeitenden der jeweiligen Ämter, kommuniziert werden muss. Es zeigt sich auch, dass es für die Lotsen schwer sein kann als Multiplikator die digitalen Veränderungen in den Ämtern zu fungieren und überzeugend auf die Kollegen einzuwirken. Digital affin oder nicht, alle Mitarbeitende sollten mitgenommen werden.
Unterlagen
Über Philipp Erdmann:
Philipp Erdmann hat sein Bachelorstudium der Politik- und Verwaltungswissenschaften im Frühjahr 2019 erfolgreich beendet. Das Thema seiner Abschlussarbeit lautete „Digitale Lotsen in der öffentlichen Verwaltung“. Bereits während des Studiums lagen seine Forschungsinteressen insbesondere in den Möglichkeiten der Digitalisierung und der nutzerzentrierten Forschung. Aktuell befindet er sich im Masterstudium des Personalmanagements an der internationalen Hochschule IUBH. Dabei befasst er sich mit Themen rund um Personalentwicklung, Human Resource Management und Change-Management.