Stadtverwaltungen im Wandel der Zeit: Problem-orientiertes Handeln für das Gelingen der digitalen Transformation

Samuel Mattes und Tobias Bertermann

Kurzzusammenfassung

Stößt die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland an Grenzen, so wird häufig Estland als ein Musterbeispiel digitaler Transformation als Vergleichsobjekt hinzugezogen. Die Implementierung digitaler Verwaltung scheint in Estland in Rekordzeit verlaufen zu sein, während in Deutschland offenbar größere Hürden zu überwinden sind. Ziel unseres Forschungsbeitrags war es daher, anhand eines Vergleichs der digitalen Transformation in deutschen und estnischen Stadtverwaltungen herauszufinden, welche unterschiedlichen Barrieren auftreten und welche Strategien bei der Implementierung nützlich sein können, um diese zu überwinden. Hierfür führten wir insgesamt vier Interviews mit Expertinnen und Experten aus den Stadtverwaltungen Konstanz (D) und Tallinn (EST) durch. Dabei wurde in beiden Fällen schwerpunktmäßig auf Probleme in den Bereichen Organisation und Management bei der digitalen Transformation verwiesen, wohingegen Informations- und Datenprobleme in beiden Ländern nur als sehr kleine Hindernisse wahrgenommen wurden. Für die deutsche Verwaltung konnten im Vergleich zu Estland spezifische Probleme bei der Implementierung identifiziert werden, welche sich hauptsächlich aus der Problematik speisen, ein digitales Bewusstsein bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung zu schaffen. Darüber hinaus wird im Vergleich zu Estland die besondere deutsche „Verwaltungsgeschichte“ als zusätzliches Hemmnis für den digitalen Wandel wahrgenommen.  Als erfolgsversprechende Strategien für eine verbesserte Implementierung in beiden Ländern wurden erhöhte Transparenz durch bessere Kommunikation sowie die Verbesserung des Marketings von Digitalisierung innerhalb der Verwaltung identifiziert.

Einleitung

Bedingt durch limitierte finanzielle Ressourcen und Expertise ist es gerade für öffentliche Verwaltungen wichtig, relevante Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation zu identifizieren und auftretende Probleme frühzeitig zu erkennen, um angemessen handeln zu können. Während Estland als Gründungsmitglied der D7-Gruppe digitaler Nationen seinen Bürgerinnen und Bürger, eigenen Angaben zufolge, digitalen Zugang zu 99% seiner Verwaltungsprozesse bietet, steckt die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland noch immer in den Kinderschuhen. Der Transformationsprozess in Estland gilt gemeinhin als Erfolgsgeschichte, wohingegen man in Deutschland aktuell nach Strategien und Lösungen sucht, um den Problemen bei der digitalen Transformation zu begegnen.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns auf die Suche nach Faktoren und Strategien gemacht, die in Deutschland und darüber hinaus angewendet können. Dafür haben wir die Stadtverwaltungen der estnischen Hauptstadt Tallinn und der deutschen Stadt Konstanz gefragt, was für sie Barrieren der digitalen Transformation in Stadtverwaltungen sind und welche Strategien öffentliche Manager als hilfreich erachten, um diesen zu begegnen.

Das Verständnis von e-government und dessen Akzeptanz durch Angestellte der öffentlichen Verwaltung sind bislang weitestgehend unerforschte Forschungsfragen (vgl. Dukic et al., 2018). Dennoch wird in der relevanten Forschungsliteratur eine Reihe potentieller Herausforderungen und Strategien des e-government genannt. Diese nutzten wir als Ausgangspunkt, um unsere eigenen Ergebnisse einzuordnen und den bereits vorhandenen Herausforderungen und Strategien hinzuzufügen. Während Barrieren von der einschlägigen Literatur identifiziert werden konnten, sind vorgeschlagene Strategien häufig nicht ausreichend an spezifische Herausforderungen geknüpft und begegnen den komplexen Herausforderungen gerade im öffentlichen Sektor nur vage.

Methode

Um mehr über potenzielle erfolgreiche Strategien zu lernen, haben wir in der estnischen Stadtverwaltung Tallinn und der deutschen Stadtverwaltung Konstanz jeweils zwei Expertinnen und Experten in semi-strukturierten Interviews befragt. Damit wollten wir bestehende Forschung mit neuen Erkenntnissen aus der Praxis verbinden und eine eigene Kategorisierung von Herausforderungen und Strategien für die öffentlichen Verwaltung im Kontext der Digitalisierung entwickeln. Außerdem war so ein Vergleich der beiden Länder möglich, deren Erfolge bei der digitalen Transformation deutliche Unterschiede aufweisen. Um möglichst realistische Antworten zu erzielen, haben wir Interviews in Erzählform geführt und bewusst offene Fragen verwendet. Zu den Interviewpartnern gehörten auf deutscher sowie auf estnischer Seite je zwei Führungskräfte aus den Bereichen IT und Steuerung. Mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) haben wir die geführten Interviews ausgewertet. Dabei nutzten wir die deduktiv gewonnen Kategorien aus der vorhandenen Literatur als vorläufiges Kategoriensystem und erweiterten es mittels induktiver Kategorienbildung um unsere neu gewonnenen Erkenntnisse.  

Lösungsansatz/Ergebnisse der Arbeit

Unsere Forschung hat sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen den Transformationsprozessen in Konstanz und Tallinn aufgezeigt. Dabei kristallisierten sich drei Bereiche an Herausforderungen für die Gemeindeverwaltungen aus unseren Interviews heraus: die Neugestaltung organisatorischer Strukturen, die Vorbereitung der Belegschaft auf die Digitalisierung und die Überwindung rechtlicher und institutioneller Hindernisse.

Neugestaltung organisatorischer Strukturen

Alle vier Expertinnen und Experten unterstrichen die Notwendigkeit, neben der Digitalisierung einzelner Prozesse auch die internen organisatorischen Strukturen anzupassen. So fielen durch die digitale Transformation verschiedene Arbeitsschritte weg und neue Abläufe entstünden. Unsere Konstanzer Experten betonten jedoch, dass diesem Anpassungsprozess vor allem die deutsche Verwaltungsgeschichte im Wege stünde, durch die sich eine recht starre Organisationsstruktur entwickelt habe. So sei es bedeutend einfacher, einzelne Projekte durchzuführen, als die Struktur als Ganzes anzupassen.

Die Erkenntnis, dass sich einfache Projekte leichter realisieren lassen, als Strukturen zu verändern, spiegelt sich auch in den genannten Strategien zur Überwindung von Problemen in den Bereichen Organisation und Management wider. So zielten diese vor allem auf die Verbesserung einzelner Projekte als auf strukturelle Neugestaltung ab.

Zudem gaben alle vier Expertinnen und Experten an, strategisches Outsourcing und öffentlich-private Partnerschaften zu nutzen, um Potenziale zur Prozessoptimierung durch externe Expertise auszuschöpfen. Für die estnischen Expertinnen und Experten war dies auch eine Strategie, um mit knappen öffentlichen Geldern zu haushalten.

Vorbereitung der Belegschaft auf die digitale Transformation

Entscheidender Erfolgsfaktor war aus Sicht der Konstanzer Experten eine positive Einstellung von Führungspersonen und Angestellten gegenüber der digitalen Transformation. Durch die Omnipräsenz der Digitalisierung in Estland schien dies in Tallinn keine Probleme zu bereiten. Das Konstanzer Beispiel hingegen zeigt die Notwendigkeit auf, gerade weniger technologieaffinen Angestellten die Vorteile der digitalen Transformation explizit aufzuzeigen, Vorurteilen vorzubeugen und auf allen Ebenen ein digitales Bewusstsein zu schaffen. Unsere Expertinnen und Experten beider Stadtverwaltungen berichteten, dass außerdem eine gesunde Fehlerkultur und effektive Kommunikationsstrategien für eine erfolgreiche digitale Transformation entscheidend seien.

Überwindung rechtlicher und institutioneller Hürden

Die estnischen Expertinnen und Experten sehen sich nur wenig mit bürokratischen Hindernissen konfrontiert, da bei Problemen die relevanten Richtlinien und Gesetze relativ einfach angepasst werden können. Die Konstanzer Verwaltung hingegen scheint gerade durch gesetzliche Rahmenbedingungen in ihrem Handlungsspielraum beschränkt zu werden, welche sich in einem starren Rechtssystem nicht kurzfristig ändern lassen. Rechtliche Anforderungen, wie zum Beispiel die Notwendigkeit physischer Unterschriften für Verwaltungsakte, verhindern oftmals die effiziente Digitalisierung einzelner Prozesse. Komplizierte Zuständigkeiten im deutschen föderalen System erschweren zudem den Zugang zu notwendigen Daten und finanziellen Ressourcen. Um diese Probleme zu umgehen, versucht die Konstanzer Stadtverwaltung daher häufig, kreative Lösungen innerhalb des regulatorischen Rahmens zu finden.

Tabelle 1: Barrieren digitaler Transformation in Deutschland & Estland


Theoretische & praktische Implikationen

Unter theoretischen Gesichtspunkten betonen unsere Ergebnisse insbesondere die Bedeutung des Verwaltungssystems als wichtiger Faktor für das Gelingen der digitalen Transformation. So hat sich das jüngere, deutlich flexiblere estnische System als vorteilhaft für die Umsetzung von Digitalisierungsprozessen herausgestellt. Das deutsche, über viele Jahrzehnte gewachsene System hingegen wird von Pfadabhängigkeiten geprägt und erweist sich als bremsender Faktor für Stadtverwaltungen, die in puncto Digitalisierung voranschreiten möchten.

Aus praktischer Sicht lässt sich festhalten, dass die digitale Transformation durch eine ganzheitliche Strategie auf allen Ebenen begleitet werden muss. Dazu gehört insbesondere, sowohl unter Führungskräften als auch unter Angestellten ein Bewusstsein für die Möglichkeiten und Anforderungen der Digitalisierung zu schaffen. Außerdem genügt es nicht, nur einzelne Prozesse separat zu digitalisieren. Vielmehr ist ein konzertierter Ansatz auf allen Verwaltungsebenen notwendig, um die organisatorischen Strukturen, Datenströme und Ressourcenverteilung sinnvoll neuzugestalten.

Zentrale Punkte

Die digitale Transformation gelingt nur durch transformatives Denken auf allen Ebenen. Dies betrifft nicht nur einzelne Stadtverwaltungen, die durch organisatorische Anpassungen und Mitarbeiterführung einen fruchtbaren Boden bereiten müssen. Auch auf Landes- und Bundesebene sind mutige Entscheidungen notwendig, um die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen und den Stadtverwaltungen so die Transformation zu ermöglichen. In Deutschland ist deshalb eine gute Abstimmung zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen von zentraler Bedeutung.

Im Vergleich der beiden Stadtverwaltungen bestätigt sich der Eindruck, dass Estland Deutschland bei der digitalen Transformation weit voraus ist. Als eine der deutschen Vorreiterinnen in puncto Digitalisierung sieht sich die Konstanzer Stadtverwaltung mit einer Vielzahl unterschiedlich gearteter Hindernisse konfrontiert. Gleichzeitig wird ihre Fähigkeit, diese Hindernisse zu überwinden, durch äußerliche Rahmenbedingungen beschränkt.

Die Stadtverwaltung Tallinn hingegen profitiert von ihrer jüngeren und flexibleren Organisationsstruktur. Zudem ist die digitale Transformation in Estland bereits seit Längerem ein gesellschaftlich und politisch forciertes Projekt ist, wodurch sich die Einstellungen der Belegschaft ebenso wie die äußerlichen Rahmenbedingungen bereits weitgehend im Einklang mit der digitalen Transformation befinden.

Über Samuel Mattes:

Samuel Mattes hat im Bachelorstudium Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz studiert und absolviert derzeit sein Masterstudium an der Universität in Konstanz mit einer Spezialisierung in Management und Verwaltung sowie einer zusätzlichen Spezialisierung in Methoden der Politik- und Verwaltungswissenschaften. Zu seinen Vertiefungsschwerpunkten zählen die digitale Transformation im öffentlichen Sektor sowie die Strategie- und Führungsforschung.

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Über Tobias Bertermann:

Tobias Bertermann hat im Bachelor Sustainable Development an der University of Edinburgh studiert und absolviert derzeit einen Double Degree in European Governance an den Universitäten Konstanz und Utrecht. Zu seinen Schwerpunkten zählen die inter-institutionelle Dynamik auf europäischer Ebene sowie Umwelt-, Energie- und Außenpolitik.