Überwindung von Hindernissen für die Digitalisierung der Verwaltung: Kartierung der Strategien von Digital Champions

Kurzzusammenfassung

In dieser explorativen Studie untersuchen wir, welche Hürden Digital Champions auf dem Weg zur digitalen Verwaltung identifizieren und welche Strategien sie anwenden, um diese zu überwinden. Die Interviews mit Digital Champions aus unterschiedlichen US-Behörden zeigen strukturelle als auch kulturelle Hindernisse und die entsprechenden Strategien zu deren Überwindung auf. Darüber hinaus verdeutlichen die Ergebnisse, dass die identifizierten Hindernisse voneinander abhängig sind, Strategien nicht notwendigerweise linear verlaufen und kulturelle Strategien von den Befragten, aufgrund ihrer höheren Effizienz und Wirksamkeit, bevorzugt werden.

Kontext

Für die Einführung und Umsetzung digitaler Technologien werden Menschen benötigt, die digitale Verwaltungsprozesse vorantreiben, hier bezeichnet als Digital Champions. Ihr Engagement ist notwendig, um bürokratische Hindernisse bei der Umsetzung der Digitalisierung und der Einführung von technischen Innovationen im öffentlichen Sektor zu überwinden (Sandoval-Almaz'an et al., 2017). Bisher gab es keine systematischen Bemühungen, Strategien aufzuzeigen, die Digital Champions zur Überwindung struktureller und kultureller Hindernisse in Bezug auf die digitale Verwaltung nutzen können. Zu den strukturellen Barrieren gehören nach unserem Verständnis technologische Barrieren (Infrastruktur, fehlende Interoperabilität, Datenzugang), organisatorische Faktoren (fehlende Strategie, Humanressourcen, digitale Kompetenzen, Kapazitäten der Führungskräfte), rechtliche und ethische Faktoren (fehlendes Vertrauen der Bürger:innen) sowie Faktoren im Zusammenhang mit begrenzten Budgets oder dem Wettbewerb um finanzielle Ressourcen (Barcevicius et al., 2019). Diese Faktoren sind eng mit kulturellen Barrieren wie Risikoaversion und Angst vor Veränderungen verknüpft. Im Allgemeinen können kulturelle Barrieren als etablierte Vorgehensweisen von Verwaltungen (bspw. dem Vorhanden sein einer bürokratischen Kultur) und ein Mangel an organisatorischer Führung ohne klare Vision und Strategie für Wandel betrachtet werden. Um diese Barrieren zu überwinden, empfiehlt die aktuelle Forschung zu Transformationsprozessen in öffentlichen Verwaltungen ganzheitliche Ansätze zu verfolgen, die sowohl kulturelle als auch strukturelle Strategien umfassen (Mergel, Edelmann, & Haug, 2019). Klare Empfehlungen, welche Arten von Strategien bei der Überwindung von Hürden für die digitale Verwaltungsarbeit wirksam sind, sucht man in der Forschung aktuell vergebens. Die Identifikation von strukturellen sowie kulturellen Barrieren und den damit einhergehenden Strategien zu deren Überwindung, ist Thema dieses Artikels.

Methode

Im Rahmen einer explorativen Analyse wurden qualitative Experteninterviews mit Digital Champions durchgeführt. Bei den 55 ausgewählten Interviewpartnern handelt es sich um Digital Champions, die in oder in der Umgebung von US-Bundesverwaltungen arbeiten. Die Analyse der Interviews wurde in Anlehnung an den Ansatz von Gioia, Corley und Hamilton (2013) mit deduktiver und induktiver Kodierung vorgenommen. Dies ermöglicht die Bestätigung bereits bekannter Barrieren und Strategien sowie die Identifizierung neuer Hürden und Strategien.

Ergebnisse

Aus den Interviews konnten wir vier Hindernisse sowie sechs mögliche Strategien zu deren Überwindung identifizieren. Im Allgemeinen waren kulturelle Strategien der befragten Digital Champions stärker ausgeprägt als strukturelle Strategien. Im Folgenden werden zuerst die Barrieren für die digitale Transformation genauer analysiert. Im anschließenden Kapitel werden die identifizierten Strategien und praktischen Implikationen vorgestellt.

Strukturelle Barrieren

1. Keine ausreichenden Kapazitäten und Ressourcen

Für die Entwicklung innovativer Lösungen hin zur digitalen Verwaltung werden angemessene Ressourcen und Kapazitäten benötigt. Neben dem Bedarf an technischen Fähigkeiten wurden von den Digital Champions auch nicht-technische Fähigkeiten wie Führung und Management genannt. Darüber hinaus betonen mehrere Befragte eine Diskrepanz zwischen der institutionellen Rollen eines Chief Information Officers (CIOs) und den benötigten "menschlichen Fähigkeiten", welche für die Steuerung von Transformationsprozessen erforderlich sind. Zudem schildern die Befragten, dass es schwierig sei, Mitarbeitende mit den entsprechenden Kompetenzen einzustellen. Hauptgrund dafür sei die geringe Flexibilität von Prozessen und Regeln, die insbesondere bei formalisierten Einstellungsprozessen auftritt.

2. Governance-Strukturen

Unsere Interviewpartner stellen mit erstaunlicher Übereinstimmung fest, dass die Rolle des CIO ihrer Meinung nach nicht gut positioniert ist, um die digitale Transformation zu ermöglichen. Dies liegt vor allem daran, dass die Rolle sowohl technische als auch betriebswirtschaftliche Erfahrung erfordert. Nach Aussage der Befragten werden nur wenige CIOs diesem Anspruch gerecht. Eine weitere entscheidende Hürde ist der Mangel an Koordination und die daraus resultierende Entstehung starrer institutioneller Silos, welche die Zusammenarbeit zwischen Institutionen oder Teams verhindert.

Kulturelle Barrieren

1. Institutionelle Kultur

Unsere Ergebnisse zeigen, dass kulturelle Barrieren bei der digitalen Transformation der Verwaltung stärker ins Gewicht fallen. Im Sinne der Organisationskultur, beschreiben die Befragten ihr Arbeitsumfeld oft als risikoscheu mit einem deutlichen Mangel an Anreizen neue Wege einzuschlagen und von der bisherigen Vorgehensweise abzuweichen. Vor allem in Bezug auf den Einsatz neuer Technologie ist dieses Phänomen besonders ausgeprägt und eine große Skepsis gegenüber dem Einsatz dieser wird von den Befragten festgestellt. Mitarbeitende mit ausgeprägtem Berufsethos und spezifischem Fachwissen tun sich schwer, neue Methoden (z.B. agiles Projektmanagement) sowie technische Lösungen zu übernehmen.

2. Mangelndes Bewusstsein

Aus unserer Analyse geht zudem hervor, dass Verwaltungsmitarbeitende in der Regel nicht ausreichend mit neuen technologischen Entwicklungen vertraut sind oder mangelnde Kenntnisse über die möglichen Mehrwerte durch deren Nutzung haben. Konkret sind sich manche Mitarbeitende und Führungskräfte gar nicht bewusst, welche Wissenslücken sie haben, beharren daher auf dem bisherigen Vorgehen und lassen sich mögliche Mehrwerte der technologischen Neuerungen entgehen.

Darüber hinaus weisen die Digital Champions darauf hin, dass ihrer Einschätzung nach externe Dienstleister wenig positiven Einfluss auf die digitale Transformation öffentlicher Verwaltungen haben. Ihrer Meinung nach zehren diese Ressourcen von Behörden auf, würden durch die eigenständige Durchführung von Projekten für eine Aufrechterhaltung geringer Kapazitäten sorgen und verbreiten Vorstellungen von technologischen Lösungen, deren Implementation nur durch sie selbst möglich ist.

Strategien und praktische Implikationen

Strukturelle Strategien wirksam einsetzen

1. Mitarbeiter weiterbilden und Umstrukturierungen vornehmen

Strategien zur Nutzung der strukturellen Aspekte der digitalen Verwaltung waren im Gegensatz zu kulturellen Strategien in den Antworten der Befragten nicht stark vertreten. Am häufigsten genannt wurden Strategien zur höheren Qualifizierung der Mitarbeitenden, wie bspw. Schulungen, Kapazitätsentwicklung oder berufliche Weiterbildungsmaßnahmen. Außerdem wurden Strategien zur Umstrukturierung von Behörden (bspw. die Schaffung funktionsübergreifender Technologie-Teams) genannt, um Silos und das Auftreten separater Technologie-Teams zu durchbrechen. Einige Digital Champions forderten auch eine Umstrukturierung der Rolle des CIO‘s durch die Änderung ihrer Mandate sowie die Anpassung von Einstellungsprozessen.

Kulturelle Strategien wirksam einsetzen

1. Anpassung der Verwaltung an die digitale Ära

In der modernen Welt gibt es buchstäblich nichts, was nicht durch Technologie unterstützt wird. Verwaltungen müssen sich dieser neuen Normalität stellen und die Erwartungen von Beamten, Behörden und Institutionen in Einklang mit dieser neuen Realität bringen. Unsere Befragten äußern die Hoffnung, dass privatwirtschaftliches Denken die Trägheit und Pfadabhängigkeit von Verwaltungen möglicherweise durchbrechen könne. Dies kann einerseits durch die Einstellung von Mitarbeitenden aus anderen Sektoren (bspw. durch Fellowship-Programme), durch Partnerschaften und Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft oder durch die Hervorhebung der möglichen Mehrwerte digitaler Werkzeuge (bspw. durch die Methode des Story-Tellings) geschehen.

2. Netzwerke aufbauen

Für Digital Champions ist es zudem wichtig, von Gleichgesinnten in anderen Kontexten zu lernen, was oft den Austausch von Wissen und Erfahrungen in Netzwerken beinhaltet. Durch diesen Austausch können digitale Dienstleistungsprojekte und organisatorische Prozesse kontextübergreifend repliziert werden. Mittelfristig führt dies zu einer Verbreitung bewährter Verfahren mit Hilfe von digitalen Technologien in der Verwaltung.

3. Legitimität aufbauen

Neben Netzwerken muss auch Legitimität für die Nutzung neuer Technologien aufgebaut werden. Neue Technologien und Innovationen werden in der Verwaltung oftmals mit Misstrauen oder Abneigung wahrgenommen. Daher ist es unabdingbar den Mehrwert, der durch die Nutzung von digitalen Werkzeugen und Prozessen für die Kerntätigkeiten der Verwaltung entstehen, einfach und veranschaulich zu demonstrieren. Vor allem Entscheidungstragende sollten selbst digitale Werkzeuge ausprobieren, um zu verstehen, welcher Nutzen damit erzielt werden kann. Hierfür sind sogenannte playbooks bereits etablierter digitaler Verwaltungen (bspw. das Playbook von Code-for-America) eine bewährte Strategie.

4. Nutzt Hebelwirkungen der Krise

Krisen bringen Menschen zusammen und vereinen ihre Interessen. Nutzen Sie die Möglichkeiten die durch die Pandemie entstanden sind, um Teilbereiche der digitalen Verwaltung in den Routinen zu verankern. Die Befragten beschrieben Strategien wie bspw. die Einführung von Technologie Fellowship-Programmen, um schnelle Gewinne in der Digitalisierung zu feiern. Diese bieten die Möglichkeiten organisatorische Umgestaltung anzustoßen, indem sie die Prioritäten von Führungskräften in Einklang mit der technischen Notwendigkeit der Digitalisierung bringen.

Konzentrieren Sie sich zunächst auf die kulturellen Strukturen

Unsere Ergebnisse zeigen, dass kulturelle sowie strukturelle Strategien eng mit deren Barrieren verwoben sind. Digital Champions bewältigen diese Komplexität durch eine durchdachte Prioritätensetzung, wobei kulturelle Strategien aufgrund ihrer als höher wahrgenommenen Effizienz und Wirksamkeit häufiger angewendet werden. Manager:innen digitaler Transformationen empfehlen wir daher vorerst kulturelle Strategien anzuwenden, da diese Überschneidungseffekte strukturelle und kulturelle Barrieren aufweisen. Strukturelle Hindernisse (z.B. Top-Down-Strukturen, bürokratische Prozesse) wurden oft als notwendiges Übel angesehen, das es zu bewältigen und zu navigieren galt, und nicht als Hindernis, das überwunden werden konnte. Auch wenn sie nicht gesetzlich kodifiziert sind, werden strukturelle Hindernisse wie technische Kapazitäten, institutionelle Silos und formalisierte Einstellungsverfahren als Verstärkung von vielen anderen Hindernisse angesehen, so dass sie in der Summe unüberwindbar erscheinen. Durch den Einsatz kultureller Strategien können digitale Champions strukturelle Hindernisse umgehen (und manchmal auch vermeiden), um Fortschritte bei der Digitalisierung zu erzielen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Theoretisches Modell für die Strategien der digitalen Champions.


Prof. Dr. Ines Mergel

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Dr. Christopher Wilson

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