Wertschöpfung durch Digitale Freiwillige am Fallbeispiel des „Verschwörhaus Ulm“

Pauline Klanke

Kurzzusammenfassung

Neuartige kooperative Ansätze, die anhaltende urbane Probleme wie die Anpassung an den Klimawandel, Digitalisierung und städtische Ungleichheiten angehen, werden zunehmend von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft erprobt. Bestehende Systeme haben jedoch Schwierigkeiten, Antworten auf neue Anforderungen und Bedürfnisse zu geben und dabei gleichzeitig die Zivilgesellschaft einzubeziehen. Daran knüpft das „Verschwörhaus Ulm“ (VH) an, das digitale Themen im Stadtkontext bearbeitet. Durch die Einbindung verschiedener Stakeholder aus der Zivilgesellschaft hat das VH zum Ziel, einen Ort für Innovationen bereitzustellen, um aktuelle Herausforderungen zu bewältigen.

Ziel dieses Forschungsbeitrags ist es, den Wert, den die Kooperation Digitaler Freiwilliger mit sich bringt, zu ermitteln. Außerdem soll herausgefunden werden, an welche Zielgruppe sich der geschaffene Wert richtet. Als Digitale Freiwillige werden die Bürger*innen bezeichnet, die sich im „Verschwörhaus Ulm“ auf freiwilliger Basis engagieren. Dabei fokussiert sich das Engagement auf Aufgabenbereiche, die durch neue Technologien geschaffen wurden wie beispielsweise das Nutzen eines 3D-Druckers oder innovativen Stickstoffmessgeräten (Dunleavy, 2006). Durch Literaturrecherche und Interviews mit Digitalen Freiwilligen des Verschwörhaus Ulm entstanden fünf Ausprägungen von Werten, die sich aus häufig erwähnten Sachverhalten der Befragten ergaben. Die interviewten Personen erwähnten am häufigsten die Förderung der Vernetzung verschiedener Gruppen aus der Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft. Die Vernetzung wurde von allen Befragten durchweg positiv bewertet und wird in der Literatur zu Wertschöpfung im öffentlichen Sektor als wichtige Grundlage gesehen (Greve, 2015). Gegenseitige Hilfe stellt ein weiteres Hauptergebnis der Befragung dar, welche ebenfalls als wichtiger Wert, geschaffen durch die Arbeit der Freiwilligen im Verschwörhaus, bezeichnet wurde.

Einbettung in den Kontext

Das Verschwörhaus in Ulm dient als Bindeglied zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft und bietet vor allem letzteren die Möglichkeit sich einzubringen. Die Einbindung und Förderung von digitalem Ehrenamt ist ein wichtiger Bestandteil im VH (Geiger, 2016). Somit wird den Digitalen Freiwilligen als mitwirkenden Personen im Verschwörhaus und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft die Möglichkeit gegeben, sich auf digitale Weise zu organisieren und einen Wert zu schaffen, der sich wiederum an verschiedenste Zielgruppen richtet. Dieser Wert kann möglicherweise auch in die Verwaltung getragen werden. Demnach kann diese neue Form von Kooperation in einem Innovationslabor wie dem VH relevant für einen besseren Austausch zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung sein. Das Verschwörhaus Ulm lässt sich auf Grundlage der Forschungsliteratur nicht eindeutig in eine Organisationsform einordnen, kommt jedoch der Bezeichnung eines Living Labs am nächsten, da sich diese auf benutzerzentrierte Ko-Kreation und das Angehen zeitgenössischer Herausforderungen in gesellschaftlichen Kontexten konzentrieren (Schuurman & Tõnurist, 2017).

Methodik

Um mehr über die Projekte und Zusammenarbeit der Digitalen Freiwilligen zu erfahren, wurden in der Forschungsarbeit Mitwirkende des Verschwörhaus Ulm in semi-strukturierten Interviews befragt (Yin, 2009). So konnte bestehende Forschung zur Wertschöpfung durch Kollaboration mit neuen Erkenntnissen aus der Praxis verbunden werden. Die Interviews hatten zum Ziel, die geschaffenen Werte durch die Zusammenarbeit der Digitalen Freiwilligen im Innovationslabor in Ulm zu identifizieren. Bei der Auswahl der Interviewpartner wurde besonders darauf geachtet, dass es sich um Personen handelt, die sich regelmäßig ehrenamtlich im VH engagieren und mit digitalen sowie technischen Instrumenten arbeiten und kommunizieren.

Ausgenommen von dieser Zielgruppe waren die Leiterin der Geschäftsstelle der Stadt Ulm „Digitale Agenda“ und der Leiter des „Verschwörhaus Ulm“. Diese Interviews sollten vielmehr wertvolle Kontextinformationen über die Arbeit des VH bieten und Wertschöpfung des VH aus verwaltungstechnischer Perspektive offenbaren. Die Auswertung der Daten erfolgte mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2014).

Ergebnisse der Arbeit

Anhand der Interviewdaten konnte ausgemacht werden, dass es sich sowohl um direkte als auch um indirekte Wertschöpfung handelt. Damit ist gemeint, dass das Handeln im Verschwör

haus oftmals einen direkten, persönlichen Wert für eine Person selbst schuf. Manchmal wurde jedoch durch die Zusammenarbeit ein Wert generiert, der zukünftige Projekte beeinflusst und somit eher indirekt entsteht. Die Datenanalyse hat außerdem gezeigt, dass Vernetzung verschiedener Personen sowie gegenseitige Hilfe die am meisten genannten Arten von Wertschöpfung sind, welche die Digitalen Freiwilligen durch ihr Wirken generieren. Folgende einschneidende Ergebnisse konnten identifiziert werden:

Wert für die Politik

In den Interviews wurden häufig Aussagen gemacht, die sich auf die Attraktivität der Stadt bezogen. Die Interviewten gaben an, dass das VH zum einen dazu führte, dass die Stadt durch beispielsweise Bike-Sharing Systeme attraktiver für die Bürger*innen wurde. Andererseits ist auch die Attraktivität der Stadt Ulm nach außen hin gestiegen, da das Verschwörhaus in seiner Form deutschlandweit oft als einzigartig bezeichnet wird.

Weiterhin findet durch die Projekte der Digitalen Freiwilligen eine Wissensvermittlung statt, mit deren Hilfe Ministerien oder politische Einrichtungen über technologische Ideen oder Innovationen informiert werden, was ebenfalls als Wert für die Politik angesehen wurde.

Wert für die Verwaltung

Der bedeutendste Wert für die Verwaltung fand sich in dem Austausch mit der Zivilgesellschaft wieder. Durch den regen Austausch können gemeinsame Handlungsfelder zwischen Verwaltung und Mitwirkenden im Innovationslabor identifiziert werden.

Außerdem stellt der Ausbau der Infrastruktur ebenfalls ein Wert für die Verwaltung in Ulm dar, welcher in den Interviews geäußert wurde. Beispielsweise wurde mit der Planung und Implementierung des Bike-Sharing System durch die Arbeit im Verschwörhaus begonnen.

Sozialer Wert

Häufig erwähnt wurde hier die Vernetzung verschiedener Menschen, die im Verschwörhaus stattfindet. Mit Vernetzung ist das Fördern von Interaktion zwischen Personen mit unter-schiedlichen Bildungshintergründen, Alter und Geschlecht im Verschwörhaus von vielen Interviewpartnern besonders hervorgehoben worden.

Weiterhin haben viele Digitale Freiwillige erwähnt, dass die soziale Kohäsion durch die Arbeit der Digitalen Freiwilligen stärker wird. Durch die Arbeit hat sich ein Netzwerk gebildet, das Aktivitäten unternimmt, die über das Verschwörhaus hinaus gehen.

Wert für die Umwelt

Hier wurde die Luftmessung, die in der Stadt Ulm von den Interviewteilnehmer als dringend notwendig erachtet wird, als Wert für die Umwelt durch die Koproduktion der Freiwilligen angesehen. In Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen wurde beispielsweise der Stickstoffgehalt in der Luft gemessen, was wiederum als Handlungsempfehlungen für eine reinere Luft dienen kann.

Ein weiteres Ergebnis bildet die Subkategorie Nachhaltigkeit. Der Fokus auf nachhaltige Produkte und Veranstaltung im Verschwörhaus wurde von den Digitalen Freiwilligen erwähnt und soll das Umweltbewusstsein in der Stadt allgemein, bei Unternehmen und bei der Zivilgesellschaft anregen.

Persönlicher Wert für Wirkende im Verschwörhaus (Benutzerwert)

Besonders betont wurde die gegenseitige Hilfe untereinander im Verschwörhaus. Das hilfsbereite Klima, die Unterstützung bei gegenseitigen Projekten oder die Hilfe bei technischen Problemen stellen einen wesentlichen Aspekt dar, der als persönliche Bereicherung für die Mitwirkenden bezeichnet wird.

Auch die Vernetzung verschiedener Menschen stellt für die Befragten selbst einen essenziellen Wert dar. Hier bezieht sich der Wert vor allem auf den unterschiedlichen Wissenshinter-grund der Mitwirkenden im Verschwörhaus. In der folgenden Abbildung 1 (Kodierungstaxonomie) werden alle identifizierten Arten von Wertschöpfung zusammenfassend dargestellt.

 

 

Theoretische & praktische Implikationen

 

Die hier identifizierten Arten von Wertschöpfung sowie die Nutznießer der Wertschöpfung geben realistische Einblicke, mit welchen Outcomes bei der Einrichtung eines Kontextes wie dem des Verschwörhauses zu rechnen ist. Weiterhin bieten die Terminologien (siehe Abbildung 1) Grundlage für zukünftige exploratorische sowie empirische Forschung.

Die Möglichkeit, im „Verschwörhaus Ulm“ technologische und soziale Herausforderungen durch die Vernetzung und den Einbezug von Menschen unterschiedlichster Hintergründe zu bewältigen, kann als praktische Implikation angesehen werden. Öffentliche Dienstleistungen werden von den Bürger*innen mitgestaltet und bereitgestellt. Das Verschwörhaus schafft die Möglichkeit, unterschiedlichste Akteur*innen zu erreichen und einzubinden.

Die Aussagen der befragten Personen bieten in vielerlei Hinsicht einen Einblick über die vielfältigen Handlungsfelder der Digitalen Freiwilligen, die sowohl einen Wert für die Stadt Ulm, deren Verwaltung, für sich selbst, die Umwelt und für soziale Bereiche schaffen. Die analytisch bewiesenen Erkenntnisse können Faktoren offenbaren, welche bei der Förderung eines kollaborativen Klimas berücksichtigt werden müssen. Sie haben ebenfalls einen Einfluss auf Führungs- und Engagementstile, indem sie aufzeigen, welche Haltungen ein koproduktives Klima fördern und welche Techniken die Zusammenarbeit von Digitalen Freiwilligen fördern.

Zentrale Punkte

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Koproduktion zwischen Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik eine Vielfalt von Werten erzeugt, von denen alle Seiten profitieren. Die Interviews mit den Digitalen Freiwilligen zeigten, dass das VH einen Ort darstellt, welcher verschiedenste Menschen der Stadt Ulm in Bezug auf Alter, Bildungshintergrund und Wissenslevel vernetzt.

Das VH schafft einen Ort, an dem gegenseitige Hilfe eine wichtige Rolle spielt. Eine Hauptbarriere von freiwilligem Engagement stellt das Verhalten dar, sich nur in den eigenen Netzwerken zu engagieren, ohne neue Themenfelder und Akteure kennenzulernen (Puerari et al., 2018). Diese Barriere konnte anhand der in dieser Arbeit aufgezeigten Vernetzung verschiedenster Menschen überwunden werden.

Schlussendlich konnte durch die Arbeit bestätigt werden, dass Digitale Freiwillige eine erhebliche Rolle bei der Generierung von Werten durch Koproduktion in der Verwaltung und Zivilgesellschaft spielen.

Über die Autorin:

Pauline Klanke hat in Konstanz ihr Bachelorstudium in Politik- und Verwaltungswissenschaft abgeschlossen und sich bereits während Ihres Studiums für aktuelle Herausforderungen sowie Chancen der Digitalisierung interessiert. Ihr Forschungsinteresse lag im Bachelor in Organisationsstrukturen, die eine aktive Beteiligung sowie einen Austausch zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung fördern. Pauline Klanke hat im Oktober 2019 den Master Politics & Technology an der Technischen Universität München begonnen. Dort betreibt Sie unter anderem Forschung zu Künstlicher Intelligenz sowie deren Verankerung und gesellschaftlicher Auswirkung im digitalen Transformationsprozess. Weiterhin forscht Sie zur Zukunft von Mobilität und Verkehrsplanung.

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